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Joe DeVries ist Züchter – und Vizepräsident von AGRA. Was sind die Chancen und Risiken einer „Grünen Revolution“ in Afrika? Ein Gespräch zwischen Jan Rübel und ihm über Produktivität, Bedarf und Paternalismus.
Herr DeVries, warum haben die Bill & Melinda Gates Stiftung und die Rockefeller-Stiftung beschlossen, in Afrikas Landwirtschaft zu investieren?
Joe DeVries: Es herrschte der Eindruck vor, dass Afrika zurückgelassen wurde – bei den Grünen Revolutionen, die es in anderen Kontinenten gegeben hatte und welche einen großen Anstieg der Produktivität in der Landwirtschaft zeitigten.
Was haben Sie in Afrika bisher erreicht?
Wir fanden heraus, dass die Bauern nicht neue Technologien einbezogen, weil sie es so wollten. Sie hatten schlicht nicht die Chance erhalten, ihre Produktivität zu erhöhen – und zwar durch den Gebrauch verbesserten Saatguts oder eine optimierte Ernteproduktion. Der Schlüssel unserer Strategie liegt darin, dass wir die Vorteile aus jener Forschung und besserer Technologie ziehen, welche nur für wenige Forscher zugänglich sind. Die Bauern sind weit weg, und die afrikanische Landschaft ist weitläufig: Also kamen wir auf die Idee das Saatgut direkt zu den Bauern zu bringen. Ursprünglich sprachen wir einige der weltgrößten Saatguthersteller an, das war im Jahr 2003/2004, um ihr Interesse zu erfragen. Aber deren Antwort war: ‚Afrika ist nicht unser Ding, nicht jetzt.‘
Also wurden die Multis nicht beteiligt. Was geschah dann?
Wir fragten uns, ob dies derart kompliziert sei, dass nicht afrikanische Firmen diesen Part übernehmen können. Und wir entdeckten, dass es viele afrikanische Unternehmer im Bereich des Agribusiness gab, die diesen Job übernehmen wollten – aber bisher hatten sie nicht die Chance dazu. Kreditzinsen der Banken sind hoch, und sie lehnen es ab Leute zu treffen, die Neues entwickeln wollen. Es gibt eine historische Kluft zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor; AGRA agierte als eine Art Bindeglied zwischen den beiden. Wir verbrachten schließlich viel Zeit damit Saatgutunternehmer und öffentliche Pflanzenzüchter zusammenzuführen.
AGRA gründete sich 2006. Können Sie in Zahlen ausdrücken, was bisher erreicht worden ist?
Wir haben dafür ein eigenes Team für Datenanalyse. Bisher haben wir in die Entwicklung von über 650 neuen Pflanzensorten und von 114 privaten afrikanischen Saatgutfirmen investiert. Im Jahr 2017 waren diese Unternehmen in der Lage, 141.000 Tonnen an Saat zur Verfügung zu stellen. Das ist ein riesiger Unterschied zu früher – wie Nacht und Tag. Auf der dörflichen Ebene begründeten wir ebenfalls 20.000 Landhandel-Geschäfte, wo Saatgut, Werkzeug und Dünger gelagert wird. Also schufen wir physischen Zugang.
Okay, es gab einen Mangel an Auswahl. Aber warum reden Sie von einer Revolution?
Nun, die Statistiken sagen uns: Es steht nicht gut. Es gibt ein riesiges Bevölkerungswachstum. Und zwar sind die Bevölkerungen der meisten afrikanischen Länder 50 Jahre nach ihrer Unabhängigkeit viermal so groß, wie sie es damals waren. Davon auszugehen, dass dieser Kontinent in der Lage sein wird, sich in der Zukunft selbst zu ernähren, ohne etwas in der herkömmlichen Landwirtschaft zu ändern, ist ein Rohrkrepierer. Es braucht eine Verbesserung der Produktivität in der Landwirtschaft. Ansonsten wird die Abhängigkeit Afrikas von Nahrungsimporten weiter steigen, welche für die ärmsten Bevölkerungsteile unerreichbar sein werden – und so wird ihnen auch die Möglichkeit genommen, ihr eigenes Land zu ernähren…
… um Jobs zu schaffen …
…genau. In einigen Ländern, in denen wir arbeiten, leiden 30 Prozent aller Kinder an Mangelernährung. Es ist eine schreckliche Lage. Das können wir nicht leichtnehmen.
AGRA konzentriert sich auf die Förderung von Kleinbauern. Kritiker sagen, diese werden inmitten dieser Grünen Revolutionen Risiken ausgesetzt.
Der Begriff „Grüne Revolution“ braucht ein Upgrade oder ein Update. Die Vorwürfe an den ursprünglichen Grünen Revolutionen in den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts waren stichhaltig, weil es den entwickelten Saaten in vielen Fällen an lokalen Anpassungsfähigkeiten mangelte. Das bedeutete, dass die Bauern mehr Agrochemie einsetzen mussten, um ihre Ernte gegen Krankheiten zu schützen. Von diesen Erfahrungen haben wir gelernt. Wissen Sie, ich bin ein Pflanzenzüchter. Wenn Leute kommen und sagen, Biotechnologie sei der neue Weg für die Ernährung der Welt, dann ist meine Antwort: Bisher liegt die größte Chance darin, Bauern einzubinden. Wir nennen es Pflanzenzucht mit bäuerlicher Mitwirkung, um diese Adaptionen gemeinsam mit höheren Gewinnmöglichkeiten hinzukriegen. Auch verfolgen wir einen agroökologischen Ansatz: Wir gehen auf die Felder und schauen nach Insekten. Gibt es Insekten bei gesunden Feldfrüchten, ist dies ein Hinweis darauf, dass diese die besten Gene in sich tragen, um sich gegen die Insekten zu schützen. All dies sind konventionell gezüchtete Sorten – es gibt keine gentechnisch veränderten Organismen. Aber es gibt ein geniehaftes Niveau unter afrikanischen Pflanzenzüchtern, bei denen ich es toll finde, dass ihr Wissen nun angezapft wird. Denn es sind Leute von den Dörfern, nicht von außerhalb. Sie sind auf Bauernhöfen aufgewachsen, wo sie ihre Eltern leiden sahen, wegen geringer Ernteerträge und hohen Verlusten durch Insekten, Krankheiten, Trockenheit oder Flut. Nun sehen sie, dass es wirklich brauchbare Lösungen gibt. Dies basiert, noch einmal, auf dem Gebrauch von Wissenschaft, die ihre Informationen von lokalen Gemeinden darüber bezieht, was sie brauchen.
Vielleicht sind einige Menschen verängstigt, weil Sie und Ihre Organisation AGRA sagen, Landwirtschaft müsse unternehmerisch geleitet sein. Dies lässt sie annehmen: Große Konzerne werden von außen kommen, expandieren und Kleinbauern vor Ort verdrängen.
Wenn eine Gruppe von Kunden streng nach ihrem genuinen Bedarf generiert wird, erhält das System wenigstens die beste Chance, dass Bedarf und Versorgung miteinander übereinstimmen. Weil wir mit lokalen Unternehmern zusammenarbeiten, haben wir wahrscheinlich die Möglichkeit aufgegeben, gleich im frühen Stadium größer zu werden. Aber das ist der richtige Weg. Die großen Unternehmen beobachten offensichtlich, und in vielen Fällen starten sie zu investieren. Aber in der Zwischenzeit haben die afrikanischen Regierungen begonnen Interesse daran zu zeigen, was in der Landwirtschaft geschieht. Was wir während dieser Stufe mit den Regierungen besprechen, betrifft das Regelwerk: Welche Saatenqualität wollen wir für die Bauern? Während dieser Etappe gibt das System sehr auf die Bauern acht.
Bauern müssten Hybridsaaten kaufen, früher benutzten sie ihre traditionellen Saaten. Schafft dies nicht ein Risiko finanzieller Abhängigkeit?
Leider muss diese Technologie jedes Jahr erneuert werden. Die Frage ist: Wollen wir wirklich ewig den Bauern die Option verweigern dieses Produkt zu kaufen? Es wird als eine Möglichkeit angeboten. Schauen Sie auf die Welt – so wird die Erdbevölkerung ernährt. Sei es Mais, Sorghum oder Hirse, Tomaten oder anderes Gemüse, all dies ist hybrid. Wenn Leute nun sagen, ‚oh nein, nicht in Afrika‘ – was wollen sie? Werden wir ein Museum aus der afrikanischen Landwirtschaft machen und sagen, dass all dies für alle anderen ist? Das ist keine Option.
Ist es paternalistisch?
Ja, ein bisschen. Wir müssen die Fakten anerkennen. Wenn die Bauern, mit denen wir arbeiten, sagen würden: ‚Nein, wir wollen dieses Zeug hier nicht haben‘, dann hätten wir dies korrigiert. Wir sind für die Bauern da. Ich selbst bin ein Landwirt. Und das letzte, was ich wollte, wäre einen Bauern zu enttäuschen oder zu kränken. Stattdessen wollen sie dieses ‚Zeug‘ unbedingt.
Gibt es einen Bedarf an Hybridsaatgut?
Sie brauchen diese Saaten mehr als irgendjemand anderes auf der Erde. Das kann ihre Erträge um zehn oder 20 Prozent steigern – und sie essen selbst das meiste dessen, was sie ernten. Auf dieser Stufe verkaufen sie nicht einmal. Wenn sie bereit sind, für sie sehr teure Hybridsaaten zu kaufen, wie könnte ich es ihnen verweigern? Wir gingen nicht einfach los und gaben willkürlich ein Saatgut heraus. Zuerst sprachen wir mit den Bauern, wir wollten erfahren, was sie wollten. Nachdem wir all dies entwickelt hatten, haben wir einen signifikanten Rückgang bei Krankheiten festgestellt.
Ist es notwendig, dass Saaten durch Gesetze reguliert werden?
Ja. Jegliche Zuchtarbeit, die wir als AGRA unterstützt haben, wurde unter Einbeziehung der jeweiligen Regierungen realisiert, also ist es ein öffentliches Zuchtprogramm. Sobald sie ein neues Produkt erzielt haben, bitten wir sie es zu lizenzieren – aber sie bleiben die Besitzer. Schutz durch den Gesetzgeber ist notwendig, damit keiner kommen kann und es stiehlt. Dieses Produkt kann durch ordnungsgemäße Unternehmer erhältlich gemacht werden, die es anbauen und verkaufen wollen.
Und was passiert mit den Bauern, die ihre lokalen und traditionellen Saaten weiter anbauen wollen?
Sie sind absolut frei darin dies zu tun. Und viele von ihnen machen es auch so.
Werden sie nicht von Märkten ausgeschlossen?
Es gibt nicht den einen Markt. Es gibt afrikanische Reis- oder Sorghumsorten, die sind so einzigartig und so schmackhaft, dass es immer eine Nachfrage nach ihnen geben wird. Dies sind Anbauprodukte, die eine enorme Anziehungskraft haben. Wir beobachten gerade, dass sich ein Markt um sie herum bildet. Allerdings ist die Kehrseite, dass sie wenig ertragsreich sind. Daher ist es schwierig das ganze Land damit zu ernähren.
Also sehen Sie keine negativen Nebeneffekte?
Eine Gefahr würde nur aufkommen, wenn die traditionellen Sorten weggeworfen und nicht bewahrt würden. Aber Teil unserer Schlüsselstrategie ist, dass wir den nationalen Pflanzenzüchterteams dabei helfen die lokalen Sorten zu sammeln und zu bewahren.
Wie stellen Sie das sicher?
Ein Teil unserer Gelder wird dafür eingesetzt, dass Saaten gesammelt, dokumentiert und auf nationaler Ebene gelagert werden. Darüber hinaus sind einige Geber schlauerweise mit eingestiegen und unterstützen die Genbank in Norwegen.
Welche Rolle spielen Menschenrechte für AGRA?
Die Rolle angemessener und produktiverer Agrartechnologien bei der Ermächtigung einer Gesellschaft sich selbst zu ernähren, ist derart wichtig, dass ich persönlich darin ein Menschenrecht sehe.
Manche sagen, es gebe bereits genug Essen, und dies sei nur eine Frage des Zugangs. Ist dies richtig?
Das ist eine so grob vereinfachende Beschreibung der Lage. Was ist denn, wenn die Leute nicht das Geld haben, um sich jenes Essen zu kaufen, welches anderenfalls zu ihnen transportiert würde? Essenssysteme reagieren auf Nachfrage, und Nachfrage hängt von der Kaufkraft ab. Ein armer Landwirt ohne Geldeinkommen und mit dem Bedarf nach zusätzlichem Essen – wie signalisiert er dem Markt, dass da Nahrung gebraucht wird? Es gibt immer noch eine chronische Unterversorgung mit Nahrung. Und wenn wir dieses Problem nicht lösen, wird es schlicht noch schlimmer.