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Nach zwei Jahren Corona-Pause öffnen sich wieder die Türen zur Internatinalen Grünen Wochen (IGW) in Berlin. Für die Besucher*innen aus aller Welt heißt es vom 20. bis 29. Januar dort: Entdecken, Bestaunen und Probieren. Doch die Veranstaltung ist nicht nur Schlemmerei und Spaß. Der BMZ-Stand stellt Fragen nach dem Woher & Wohin von Nahrung – und entwickelt sich dabei zum Crashtest für manche Gewohnheit.
Zum Frühstück gibt es für Franziska Giffey einen Kakao der besonderen Art. Zwischen Zeigefinger und Daumen mustert sie eine Bohne ein wenig skeptisch. „Kann man die so essen?“, fragt die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, da kaut neben ihr schon Cem Özdemir, sichtlich zufrieden, an der zweiten. Es ist neun Uhr morgens, Giffey und der Bundeslandwirtschaftsminister werden bei ihrem Eröffnungsrundgang auf der Internationalen Grünen Woche (IGW) vom BMZ Staatssekretär Jochen Flasbarth am Stand des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in Empfang genommen. Ein Biss, ein zweiter – und Giffeys Augen weiten sich. Schmeckt ja, sagen sie.
Auf die beiden warten beim Rundgang noch Happen mit Fisch und mit Käse, Eis und Kuchen, aber „jetzt geht es zum Kaffee“, ruft Özdemir. Die beiden durchmessen das BMZ-Areal.
Auf dem braunen Teppich treffen Giffeys weiße Sneaker dabei ein aufgeklebtes Fußmuster, darauf die Worte: „Wie häufig wirfst du Lebensmittel weg?“. Es ist eine Frage, die an die Grüne Woche geht, an die Besucher*innen und die ganze Welt.
Die grüne Woche ist die international wichtigste Messe für Ernährungs- und Landwirtschaft sowie Gartenbau. Sie ist auch ein Fest des Konsums, mit 1400 Ausstellern und 300.000 Besuchern. Wer den BMZ-Stand 107 in Halle 10.2 betritt, kann auch genießen. Aber dazu gibt es ein paar Fragen: Nach den Ursprüngen von Lebensmitteln, den Folgen einer Praline in Deutschland für Bäuerinnen und Bauern in Ghana und was Nahrung für den Homo Sapiens mit dem Planeten macht. Doch jetzt erstmal ein Kaffee.
Giffey, Özdemir und Flasbarth sind am anderen Ende des Standes angekommen, sie halten bei „Angelique’s Finest“ aus Ruanda. „Das ist echter Kaffee“, schwärmt Özdemir. „Das ist mit Hafermilch“, sagt Markenbotschafterin Denyse Uwera, als sie der Bürgermeisterin einen Cappuccino anbietet. „Ist ok“, lächelt Giffey. Uwera erzählt ihr, dass ihr Kaffee von einer Frauenkooperative stammt und die Herkunft der Bohnen basierend auf einem mit dem BMZ entwickelten Blockchain bis aufs Feld rückverfolgbar ist.
„Es wird Zeit, dass Frauen mehr Anteile an der Wertschöpfungskette übernehmen, nicht nur als Bäuerinnen, sondern in der ganzen Wirtschaft“, sagt Uwera. „Nicht nur in Ruanda“, erwidert Giffey, sie wirkt ernst.
Dann geht es weiter mit dem Rundgang.
Auf den Quadratmetern von Stand 107 werden gewichtige Fragen verhandelt. Wie können die Herausforderungen der globalen Ernährungskrise, von der man auf der Messe wenig spürt, gemeistert werden? Wie geht ein Leben ohne Hunger? Die Passanten links und rechts des BMZ-Areals erwarten kaum diesen Zwischenruf, die meisten suchen Genuss. Aber nicht wenige bleiben stehen. „Ich empfehle Ihnen zuerst die Barbecue- und die Thaimischung“, sagt BMZ-Mitarbeiterin Anisa El-Battahi, als ein Paar vor dem Insektentisch haltmacht. Die Grillen sind frittiert und gewürzt, ein proteinreiches, nachhaltiges Superfood der Zukunft. „Naja, warum nicht“, sagt er. Und sie: „Teil unserer Kultur ist es ja nicht.“ Beide sind in bayerische Tracht gekleidet, kommen vom Bayern-Stand. Heidi Leitmanstetter, Steuerberaterin, und ihr Mann Rudolf, Bürgermeister von Vogtareuth, greifen zu. „Hm. Ja.“ Und: „Schlecht ist es nicht.“ Nein, kaufen würden sie es nicht, aber: „Unsere Kinder sind Vegetarier, die jungen Leute schauen viel bewusster aufs Essen. Haben ganz andere Sinne. Vielleicht ist das etwas für sie.“
Mittlerweile füllt sich das Areal. Eine Delegation von norwegischen Parlamentariern schaut vorbei, einer von ihnen erkundigt sich über das deutsche Lieferkettengesetz. „Der Weg dorthin war nicht leicht“, sagt Lisa Kirfel-Rühle vom BMZ, „aber die Richtung stimmt. Und wie ist es in Norwegen?“ Man habe ein Transparenzgesetz, erwidert der Abgeordnete, „es betrifft die großen Unternehmen“. Neben den Politikern schieben sich vier Teenager vorbei, sie streben zu einem Holztisch. „172 Euro Einkommen im Monat – zu wenig zum Leben“, liest eine Jugendliche vor, Auf der Platte liegen scannbare weiße Pappplättchen, mit Titeln wie „56 Eier“, „Brennstoffe“ oder „Haus“. Nun gilt es einzukaufen. Das Mädchen diskutiert mit den anderen, scannt ein. Doch nachdem sie sich mit Lebensmitteln eingedeckt hat und nun auch „Kommunikation“ und „Bildung für vier Kinder“ bezahlen will, leuchtet ein Bildschirm rot auf: „Ihr monatliches Budget ist erreicht!“ Die Jugendlichen schimpfen kurz. „Ach komm“, grinst dann einer von ihnen mit Basecap, „Schule ist überbewertet“.
Währenddessen beginnt weiter hinten auf der Bühne das Programm.
„Die Agrarsysteme sind Galaxien von Nachhaltigkeit entfernt“, sagt Staatssekretär Flasbarth.
Nebenan vom Cocktailstand eines anderen Ausstellers trällern Salsaklänge. Flasbarth redet nun gegen den Frohsinn von drüben an, erzählt von den vielen Nothilfen. „Es ging oft um soziale Absicherung, reine Cash Transfers zur Preisdrosselung.“ Das sei zwar kurzatmig, „aber das müssen wir jetzt machen“. Neben ihm stehen Josefa Sacko und Jürgen Vögele. „70 Prozent der Bevölkerung Afrikas leben in ländlichen Regionen“, sagt die Kommissarin für Ländliche Wirtschaft und Landwirtschaft der Afrikanischen Union (AU). „Wir entfachen dort nicht das Potenzial der Jugend.“ Vor den Coronalockdowns habe es einen Aufschwung des innerafrikanischen Handels gegeben, „und nun? Noch haben wir Probleme. Dabei brauchen wir weiterhin afrikanische Lösungen für afrikanische Länder.“ Vögele neben ihr nickt. „Die Situation ist herausfordernd,“ sagt der Vize-Präsident der Weltbank. Die Musik von der Cocktailbar wird schneller. Er erzählt von einem Dashbord, welches das Bündnis für globale Ernährungssicherheit (GAFS) entwickelt hat, „auf ihm kann für jedes Land erstmals eingesehen werden, welches die Probleme sind und wie viel für welches Projekt ausgegeben wurde.“ Dies verbinde viele Punkte. „In wenigen Monaten hatten wir auf der Website 31.000 Klicks.“ Die Musik verstummt.
Am Insektenstand herrscht derweil Andrang. El-Battahi hat ein kleines Schild aufgestellt. „Bitte nicht anfassen“, hat sie darauf geschrieben. „Wir stellen Ihnen gern was zusammen.“ Eine Gruppe junger Männer mustert den Stand. „Na, das haben Sie selbst aber nie probiert, oder?“, fragt einer von ihnen herausfordernd. Sie nimmt die größte Heuschrecke, hält sie hoch und steckt sie demonstrativ langsam in den Mund. Nimm das, sagt ihr Blick. Da muss der Mann dann ran. Er probiert die Grillen. „Crunchy“, sagt er. Die anderen lachen.
Bevor Sacko zum nächsten Termin eilt, probiert die AU-Kommissarin Schokolade aus der Elfenbeinküste, angeboten von einem kleinen Verkaufstisch. „Lecker“, lächelt sie. „Gerne noch ein Stück.“ Das BMZ ermöglicht auf seinem Areal zwölf Kleinunternehmer:innen aus afrikanischen Ländern, ihre Produkte zu verkaufen, also der langen Lieferkette ein Schnippchen zu schlagen und direkt ihre Erzeugnisse anzubieten. Die Marmelade aus Algerien mundet Sacko auch, nur eine Berliner Seniorin neben ihr verzieht den Mund. „Nee, det is mir zu intensiv.“
Gut kommen die Erfolgsmeldungen an. Die Zuschauer*innen rücken mit jedem Wort näher, als Nina Wenzel von Mars Deutschland über die Nachhaltigkeitsprojekte des Nahrungsmittelkonzerns spricht. „Das machen wir seit 40 Jahren, ist aber ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt sie. „Dabei fanden wir heraus, dass ein echter Schlüssel für Entwicklung die Gleichstellung von Frau und Mann ist.“ Mit 30 Dorfgemeinschaften arbeite man zu solchen Enabling-Effekten. Sebastian Lesch vom BMZ steht neben ihr auf der Bühne. „Wir versuchen, die verschiedenen Stakeholder zu gewinnen, um existenzsichernde Löhne zu realisieren. Dazu gehört auch, mit Unternehmen zu arbeiten.“ Hinter der Bühne füllt sich der kleine Supermarkt mit Käuferinnen und Käufern. In den Regalen liegen die Produkte von zwölf Kleinanbieter*innen: Pasten, Saucen, getrocknete und eingelegte Früchte. Schokolade und Puder. Ein Wort fällt bei den Leuten immer wieder: „Intensiv“, sagt ein Mittfünfziger. Er kauft gleich fünf Tafeln Zartbitter – und „eine der schärfsten Saucen, die ich in meinem Leben hatte“, er zeigt auf die Chili-„Venomous Hot Sauce“ von „Black Mamba“ aus Swasiland. „Die Preise sind eigentlich ok, besonders im Verhältnis zur Qualität.“
Die Messebesuchenden, welche den BMZ-Stand links und rechts in einem nicht endenden Strom passieren, sickern immer wieder ins Innere ein. Sie inspizieren die aufgeschlagenen Kakaoschoten, lutschen die Bohnen. Schauen auf kniegroße Kuben, auf denen die UN-Nachhaltigkeitsziele in großen Lettern stehen. Und hören zu, wenn in das Gedränge ein paar gedankliche Semikolons gestreut werden. „Was macht nachhaltige Agrar-Lieferketten aus“, fragt Moderatorin Katie Gallus, im Ohr klingt noch der „Galaxien entfernt“-Satz von Flasbarth.
„Wir müssen unser Konsummuster überdenken“, sagt Anke Oppermann vom BMZ. „Denn es bedeutet, dass Menschen woanders nicht gut leben.“
Gallus sucht nach einem praktischen Beispiel – und findet es bei Shamika Mone, Reisbäuerin und Präsidentin von INOFO, einem weltweiten Zusammenschluss von Biobauern. „Wir haben andere Zahlen“, sagt sie und meint damit: bessere als jene aus der konventionellen Landwirtschaft. Aber: „Mein hochqualitativer Reis geht pro Kilo für 200 Rupien an einen Händler. Der verkauft schon 250 Gramm für 300 Rupien weiter.“ Am Ende zahlen die Kunden in Deutschland einen Preis für das Produkt, von dem der bäuerliche Ertrag weit, weit entfernt ist. „Ich binde daher Verbraucher direkt an den Hof, lasse sie zu Investoren werden“, sagt Mone.
Etwas abseits vom Trubel, an einem Rundtisch im „Supermarkt“ des Standes, schaut ich mit Christel Weller-Molongua von der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) der Endlosschlange aus Menschen zu, dem Gelächter, Naschen und Zuprosten. „Ein paar Leute erreichen wir sicherlich“, sagt sie. „Aber viele sind schwer reinzuziehen.“ Der Stand ist auch ein Crash mit mancher Gewohnheit. Fühlt sie sich wie eine Ruferin in der Wüste? Weller-Molongua schweigt für einen Moment. „Die Konkurrenz um Gelder nimmt zu“, sagt sie. Da seien die Straßen in Deutschland, die Schulen, vieles in zu verbesserndem Zustande. „Internationale Entwicklungsgelder werden künftig vielleicht noch mehr hinterfragt werden. Umso notwendiger ist es, die Relevanz und die Wirkungen unserer Arbeit ehrlich darzustellen.“ Über ihr thront das Logo des Stands, zigfach geschrieben wie ein Dach des BMZ-Areals: „#ICH WILL FAIR“. Es klingt trotzig und bestimmt zugleich. Von der Ferne tönt der Laut eines Alphorns noch lange nach.
Seit Montag wurde und wird dann Schulklassen das Feld überlassen…