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Genveränderte Bakterien, die zu essbaren Proteinen werden. Kühe grasen auf dem Feld und in einer industrielle Kreislaufwirtschaft entsteht kein Abfall. Journalist Jan Grossarth sieht ein Silberstreifen am Horizont für die Zukunft der Welternährung.
Karl Marx war ein Hellseher. Seine Beobachtungen haben teilweise noch im 21. Jahrhundert hohen Erklärungswert (auch, wenn sich die auf ihn berufenden Planwirtschaften viel Dunkel in die Welt gebracht haben). Marx sagte schon in den 1860er-Jahren die ökologische Krise voraus. Er schrieb damals der Kunstdünger und die dadurch ermöglichte Verstädterung führten zu einer „Stoffwechselstörung“ von Menschen und Erde (Saito 2017).
Mit dieser Wortschöpfung waren eigentlich schon die Metaphern angelegt, mit der die Sozial- und Naturwissenschaften gegenwärtig die ökologische Krise beschreiben: große Beschleunigung, Anthropozän, Menschenzeit. Und was ist eine Stoffwechselstörung? Nichts anderes als die oft beklagte „Krankheit“ oder das „Ungleichgewicht“ der Biosphäre.
Aus früh-industrieller Intuition ist eine komplexe mathematische Prognose geworden, aus soziologischer Beschreibung biochemische Evidenz. Die urban-industrielle Gesellschaft steht am Kipppunkt. Der globale Stoffwechsel von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphaten unterliegt einer hochriskanten Veränderungsdynamik. Das liegt am Reisen, Bauen und Konsum, am Ressourcenverbrauch für die Landwirtschaft, am Bevölkerungswachstum.
Urbanisierung ist die notwendige Folge der Agrarindustrialisierung. Bis 2050 werden laut den Vereinten Nationen 70 Prozent der Weltbevölkerung in den Städten leben (Grossarth 2018). Auch Hunderte Millionen Kleinbauern werden dann neu in den Städten leben. Sie flüchten nicht nur deshalb, weil sich die Klimabedingungen verschlimmern. Sie flüchten auch, weil ihre Subsistenz-wirtschaften keine Entwicklungsperspektive haben, weil sie Fesseln der Armut sind.
Die Entwicklungsziele „Nahrung für alle “ oder „eine Welt ohne Hunger“ lassen sich sinnvoll nur im Kontext einer fortschreitenden Verstädterung denken. Mit anderen Worten: einer fortgesetzten industriellen Entwicklung. Jedenfalls dann, wenn die Weltbevölkerung weiter steigen soll – auf zehn Milliarden, wie prognostiziert.
Wer beides sagt: Urbanisierung zurückfahren, und Armut bekämpfen, ist entweder schlecht informiert, historisch blind oder zynisch.
Leider leben wir in einer digitalen Mediendemokratie, die simplen Standpunkten die Bühne bereitet. Eindeutigkeit, Streit- und Kritikfreude bestimmen Nachrichtenwerte. Das zwingt Parteien, Nichtregierungsorganisationen und auch Wissenschaftlerinnen zur Vereinfachung (Post 2018). Deshalb haben sich unter den Medien-Expertinnen zwei Lager herausgebildet: Das eine nennt die agrarische Industrialisierung und das „falsche Denken“ dahinter als Kernproblem. Das andere setzt alle Hoffnungen auf Digitalisierung und technischen Fortschritt. Es tappt dabei aber leicht in die technokratische Falle. Das bedeutet: törichte Ignoranz gegenüber der berechtigten Kritik an globalen Machtstrukturen, globaler Verteilungsungerechtigkeit, kulturkritischer Kritik der agrarindustriellen Verödung und der epochalen Vernichtung bäuerlicher Lebensformen, Traditionen und Vielfalt – auch unter den verbliebenden Bäuerinnen und Bauern.
Die digitalen Medien sind unter dem Druck von Quoten und Vereinseitigung anscheinend auch genötigt, differenzierte Klimawandelprognosen zu apokalyptischen Szenarien zu verdichten. Die Prognosen für afrikanische Ernten sind zwar insgesamt und ausdrücklich „trotz der technischen Entwicklungen“ schlecht, sagt der IPCC (Njang 2017). Aber es gibt große regionale Unterschiede. Düster sind die Prognosen für die Menschen in den Savannen in Togo, in Teilen von Madagaskar, Uganda, Mali und im Nordosten von Ghana. Positive Ertragsentwicklungen sind es unweit zu erwarten: im Norden Ghanas. Und ebenfalls in Teilen von Burkina Faso und Nigeria. Die Veränderungsdynamiken von Niederschlags- und Trockenheitsphasen werden gravierend sein – aber können in ihren Folgen nicht sicher vorhergesehen werden. Die Zukunft ist offen düster. Beide etablierten Deutungsmuster – „Irrweg Industrialisierung“ und „Heilsversprechen der Digitalisierung“ – sind unproduktiv.
Bezeichnend ist es, dass nicht die Politik, sondern internationale Konzerne wie Nestlé, Mars oder Lidl und Aldi seit Jahren die Nachhaltigkeit voranbringen.
Sie setzen Standards an Lieferanten, sie übernehmen selbst Plantagen, sie forschen für produktiveren Kakaoanbauin ihrem Sinne. Aber das Ernährungssystem muss radikal reformiert werden. Das ist keine Aufgabe für Lidl und auch nicht für Bürgerinnenräte, sondern für die Weltpolitik.
Die einzige realistische und humane Zukunftsperspektive für alle Menschen ist die industrielle Kreislaufwirtschaft. Darin gibt es keinen Abfall. Nicht von Lebensmitteln, und auch sonst nicht. Alle Nährstoffe und Materialien werden wiederverwertet. Nicht letztlich elitäre (und, oft mit Ressentiment oder Esoterik grundierte) Ideale von Suffizienz und Verzicht sind der Maßstab (Scheler 2017). Sondern das „intelligente Verschwenden“ kannder Mensch in der ökologischen Krise von der Natur lernen (Braungart 2009).
Das ist eine Planungsaufgabe. Aber sie führt nicht in eine Planwirtschaft. Geplant werden müssen eine völlig neue Steuer- und Finanzpolitik, die Abfallentstehung verteuern. Schrott, Lebensmittelabfälle und CO2 sind allesamt „Abfälle“ der industriellen Lebensweise. Geplant werden muss eine kluge, radikal andere Freihandelspolitik, die ökologisches Dumping an den Außengrenzen mit hohen Zöllen bestraft. Der Staat muss die Spielregeln so setzen, dass Müllverursachung sehr teuer wird. Unternehmen müssen die wahren ökologischen Kosten bilanzieren: die Schäden für Wasser, Luft, Boden und Gesundheit.
Die zentralen Handlungsfelder wurden in den Artikeln der SEWOH Bilanz benannt: Governance bedeutet zuallererst, das Thema medial und politisch zu priorisieren. Denn es gerät leicht in den Hintergrund und erscheint als Rand- und Expertenthema. Die Pandemie war ein Beispielfall. Innovationen sind zentral wichtig. Aber sie verdienen diesen Namen nur, wenn sie sozialen und humanen Anliegen dienen. Agrarökologie beschriebt den Weg in die agronomische Zukunft, aber formuliert „nebenher“ auch ein völlig neues, transdisziplinäres Wissenschaftsverständnis. Lieferketten müssen partnerschaftlich statt kapitalistisch strukturiert sein. Die Initiative sollte von den Entwicklungsländern selbst kommen. Starke Bäuerinnen und Bauern sind ein wichtiges Puzzleteil.
Der Staat stellt die Weichen. Aber die kreative Wirtschaft löst die eigentlichen Probleme.
Aus CO2, genveränderten Bakterien und Energie werden künstliche, essbare Proteine – eine Erfindung aus Israel (Israelian Embassy 2019). So könnte sich auch klimaneutraler Brennstoff entwickeln. Gifte werden Rohstoffe. Und die Meere, in denen die Dünger- und Nährstoffe aus 150 Jahren Agrarindustriegeschichte lagern, werden zur Rohstoffquelle. Dort gibt es essbare Algen zu ernten.
Statt der Weizen-Monokulturen der Gegenwart ist die künftige Agrarwirtschaft kleinteilig und vielfältig. Ackerschläge bilden ökologische Systeme nach und die Farmer kultivieren wohlüberlegte Nährstoffkreisläufe: mit stickstoffbindenden Leguminosen, nährstoffreichen Dung-Früchten, nützlichen, weil Insekten Lebensraum gebenden Hecken.
Die Nutztiere stehen nicht mehr in dunklen Massen-Mastanlagen, sondern nahe am Feld in Ställen, die Architekturpreise bekommen. Das Weidetier hat Zukunft. Das ressourceneffiziente Huhn aus der urbanen Fabrik hat aber ebenfalls Zukunft. Es frisst Insekten, die von Müll ernährt wurden. Die dumme Massentierhaltung aber hat keine Zukunft.
„Rohstoffe“ gibt es nicht mehr. Produkte haben multidimensionale Qualitäten statt nur Preis und Nährstoff. Darüber lässt sich auf digitalen Kanälen vortrefflich informieren. Auch menschliche Fäkalien gehen industriell aufbereitet wieder zurück aufs Feld. Damit das akzeptiert wird und Politik nicht müde lächelt, muss es ein allgemeines Problembewusstsein dafür geben, dass der Aufbau einer globalen Zirkulärwirtschaft höchste Priorität haben muss.
Davon lenkt sowohl konservatives Kleinreden der ökologischen Problemlage ab als auch die Panik-Kommunikation á la Greta Thunberg. Sie legt den Fokus auf eine rigide CO2-Vermeidungspolitik und hatte ihre Erfolge. Die EU und Deutschland haben CO2 für weitere Bereiche der Wirtschaft verteuert oder wollen dies.
Aber die Panik-Kommunikation brachte auch Radikalisierung und Ideologisierung.
Das Risiko von „Kurzschluss“-Fehlentscheidungen politischer oder wirtschaftlicher Akteure ist groß. Wenn es künftig Treibstoff aus CO2-fressenden Bakterien gäbe , dann hätte selbst der Verbrennungsmotor eine Zukunft.
Weil der Weg der Zirkulärwirtschaft ein globaler ist, wird es selbstverständlich auch der afrikanische sein. Nicht naive Metaphern von einem Leben „im Einklang mit der Natur“ oder einer„fairen und gerechteren Welt“ helfen einem Kontinent, dessen Bevölkerung bis 2050 auf zwei Milliarden Menschen anwächst – etwa eine Verzehnfachung seit 1950. Afrikanische Innovation, „Business Mindset“ und der Aufbau einer digitalen zirkulären Industrie erscheinen als der Weg, der auch den Menschen vor Ort attraktiv erscheint – vor allem aber eine viel stärkere Einbindung bäuerlicher Produktion in nationale und internationale Wertschöpfungsketten.
Vorstellungen eines „ganz anderen“, langfristigen und strukturkonservativen kleinbäuerlichen Wegs für Afrika, müssen sich die Frage nach westlichem Paternalismus gefallen lassen. Auch das idealisierende, harmonisierende Gerede vom „globalen Weg“ und oder „einer Welt“ vernebelt den Blick auf die Wirklichkeit eher. Es gibt Interessen von Nationen und Machtblöcken.Interessenvertretung und Interessenkonflikte sind nicht per se eine ethische Schande. Künftige Historikerinnen werden erst urteilen können, ob in unserer Zeit China mit seiner harten Interessenpolitik Afrika nützlicher war, oder die europäische Entwicklungspolitik. Eine Antwort ist nicht trivial.
Realistische Entwicklungspfade enthalten auch urbane Gewächshäuser, die Stoffströme schließen. Die Niederlande sind führend und erfolgreicher Technikexporteur. Realistisch ist die Wiederentdeckung agronomisch effizient bewirtschafteter Kleingärten in den Städten. Wie ein roter Faden durch die künftige Landwirtschaft zieht sich die Kaskadennutzung: Abfälle werden zu Futter, Müll zu Wertstoff.
Dabei helfen nicht alte Handwerkskünste, sondern enzymatische Trennverfahren. Das 21. Jahrhunderte ist das Zeitalter der Bioökonomie (Lewandowski 2018). Die neuen gentechnischen Züchtungsmethoden haben eine große Rolle, in jedem Fall in der industriellen Anwendung, vielleicht auch in bestimmten Feldern der Landwirtschaft. Der Stickstoffdünger wird künftig nicht mehr auf Basis von Erdgas, sondern von Sonnenenergie synthetisiert. Was für eine Chance für Afrika! Erste Anlagen sind im Bau. Roboter und Drohnen tragen den Dünger präzise aus, wo er nötig ist.
Eine vielfältige und zirkuläre Landwirtschaft ist klimaangepasst. Die Böden sind besser beschattet und feuchter. Sie sind von mehr Insekten und Würmern, Pilzen und Bakterien belebt. Sie bilden Humus und binden Kohlenstoff. Bäume und Hecken der Agroforsten binden ebenfalls CO2.
Nicht nur Naturwissenschaft bestimmt über die Anbaumethodik. Auch die Wirkung von Schönheit, von Atmosphären der neuen Landschaften auf die wahrnehmenden Menschen sind ein Erkenntnisschlüssel für „gute“ Landwirtschaft. Windräder und Solaranlagen haben ihren Platz, aber verwandeln die Welt nicht in eine einzige Kraftwerklandschaft. Denn auch das bedeutet „Agrarökologie als Leitperspektive“:
(Lokalen) kulturellen Ideen vom guten Leben, der Psychologie, der Poetik von Land und Ernährung einen Relevanzraum im Kanon der Wissenschaften zu geben, weil diese unter der Dominanz der Technik- und Naturwissenschaften auch in Gefahr sind. Und Menschen ernähren sich ohnehin selten wissenschaftsbasiert, sondern kultur-, lust- oder frustgeleitet (Hirschfelder 2018).
Die Zukunft ist hochriskant. Eine grüne zentralistische Planwirtschaft wäre nicht anpassungsfähig, weil die Probleme und Techniken von übermorgen nicht bekannt sind.
Nur wenn apokalyptische Erwartung mit Hoffnung einhergeht, gestalten wir Zukunft (Schleissing 2020). Katastrophenprognosen haben ihren Sinn darin, dass sie für kommende Gefahren wach machen und menschliche Kreativität stimulieren. Wenn sie aber in Panikpolitik führen, im Zuge derer Produkte, Gruppen, Menschen und Verfahren in „gut“ oder „verkehrt“ unterteilt werden, wird dies der ethischen Komplexität der Megaaufgabe „nachhaltige Welternährung“ nicht gerecht (Vogt 2021). Dann hätte man das metaphorische Talent von Karl Marx wieder verkannt.
Braungart, Michael, McDonough, William (2009), Cradle to Cradle. London.
Grossarth, Jan (2019), Future Food – Die Zukunft der Welternährung. Darmstadt.
Hirschfelder, Gunther (2018), Gesundheit und Ernährung: Die Macht der Kultur. In: Biologie unserer Zeit. Weinheim.
Lewandowski, Iris (2018), Bioeconomy. Shaping the Transition to a Sustainable, Biobased Economy. Berlin.
Niang, Isabelle et al. (2014), Africa. In: Climate Change 2014: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Part B: Regional Aspects. Contribution of Working Group II to the Fifth Assessment Report of the IPCC. Cambridge.
Post, Senja, Ramirez, Natalia (2018), Politicized Science Communication: Predicting Scientists’ Acceptance of Overstatements by Their Knowledge Certainty, Media Perceptions, and Presumed Media Effects. Journalism & Mass Communication Quarterly. 95, 4.
Saito, Kohei (2017), Karl Marx's Ecosocialism: Capital, Nature, and the Unfinished Critique of Political Economy. New York.
Scheler, Max (2017 [1912]), Das Ressentiment im Aufbau der Moralen. Frankfurt.
Schleissing, Stephan (2020), Apokalyptik und Ethik. Der Beitrag des Christentums zum Klimadiskurs, Vortrag in der Evangelischen Akademie Tutzing anlässlich der Tagung „Vor uns die Sintflut – oder: Was will eine aufgeklärte Klimaethik?“, 14. September 2020.
Vogt, Markus (2021), Christliche Umweltethik, Grundlagen und zentrale Herausforderungen. Freiburg.
Israelian Embassy in Germany (2019), Press Release, https://embassies.gov.il/berlin/NewsAndEvents/Pages/Israel-entwickelt-CO2-fressende-Bakterien.aspx
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