Entwaldung und Naturzerstörung: Es braucht einen strikten EU-Gesetzesrahmen
Die weltweite Entwaldung und Umwandlung natürlicher Ökosysteme schreitet in alarmierendem Maße voran. Als weltweit zweitgrößter Importeur von Tropenwaldabholzung ist die EU zum Handeln aufgerufen. Christine Scholl, Senior Referentin für Nachhaltige Agrarlieferketten beim WWF Deutschland erklärt, wie ein verbindlicher und umfassender EU-Gesetzesrahmen aussehen sollte.
Wälder bedecken ein Drittel der Landfläche unseres Planeten und beheimaten 80 Prozent aller terrestrischen Pflanzen- und Tierarten. Neben ihrem hohen Wert für die biologische Vielfalt sind Wälder entscheidend für unser Klima, da sie als Kohlenstoffspeicher und -senken dienen und Wasserkreisläufe sowie Mikro- und Makroklima regulieren. Sie filtern Schadstoffe aus Luft und Boden und verbessern auf diese Weise deren Qualität. Sie liefern Holz- und Nichtholz-Produkte sowie pharmazeutische Rohstoffe. Und sie dienen als Lebensgrundlage, kulturelle Stätten und Erholungsgebiete für uns Menschen.
Trotz ihrer vielfältigen Werte werden Wälder und andere natürliche Ökosysteme weiterhin in alarmierendem Ausmaß zerstört. Dieser Trend trägt nicht zuletzt zum Klimawandel und zum Verlust der biologischen Vielfalt bei.
Die Ausweitung von landwirtschaftlichen Flächen bleibt laut des kürzlich veröffentlichten WWF-Berichts "Stepping up: The continuing impact of EU consumption on nature" die größte Bedrohung für Wälder und andere natürliche Ökosysteme. Zwischen 2005 und 2017 wurden jährlich rund 5 Millionen Hektar Tropenwald in Agrarflächen wie Acker- und Weideland umgewandelt. Die Agrarrohstoffe, die diese Landnutzungsänderungen und Degradierung vorantreiben, werden international gehandelt. Die Bekämpfung des Problems liegt also nicht nur in der Verantwortung der Erzeugerländer.
Die EU muss dringend handeln
Der Bericht hebt die besondere Rolle der EU bei der globalen Entwaldung hervor. Sie ist nach China der zweitgrößte Importeur von Tropenwaldabholzung und damit verbundener CO2-Emissionen. Im Jahr 2017 gingen 16 Prozent der international gehandelten Tropenabholzung demnach auf das Konto der EU. Das waren im Jahr 2017 203.000 Hektar und 116 Millionen Tonnen CO2. Zwischen 2005 und 2017 waren dafür vor allem die Importe von Soja, Palmöl und Rindfleisch verantwortlich, gefolgt von Holzprodukten, Kakao und Kaffee. Die Nachfrage nach diesen Rohstoffen treibt auch die Zerstörung von anderen wichtigen Ökosystemen wie Savannen und Feuchtgebieten voran.
Trotz zahlreicher freiwilliger Selbstverpflichtungen ist es bisher nicht gelungen, Entwaldung aus globalen Lieferketten zu verbannen. Vor diesem Hintergrund und aufgrund des zunehmenden Drucks hat die Europäische Kommission nun beschlossen, ihre Maßnahmen zu verstärken. Um "das Risiko von Entwaldung und Waldschädigung im Zusammenhang mit Produkten, die auf den EU-Markt gebracht werden, zu minimieren“, muss der für 2021 vorgesehene Gesetzgebungsvorschlag die folgenden acht Anforderungen erfüllen:
- Die Gesetzgebung umfasst neben der Entwaldung und Degradierung von Wäldern auch die Umwandlung und Degradierung anderer natürlicher Ökosysteme.
- Die importierten Rohstoffe und Produkte sind nachhaltig und nicht nur „legal“ nach der Definition des Herkunftslandes.
- Die Gesetzgebung ist objektiv und wissenschaftsbasiert und gilt für Rohstoffe und Produkte, die aus der Umwandlung und Degradierung von Wäldern und anderen natürlichen Ökosystemen hervorgehen.
- Die Erzeugung von Rohstoffen sowie Folgeprodukten, die auf den EU-Binnenmarkt gebracht werden, stehen nicht in Verbindung mit Menschenrechtsverletzungen.
- Für Unternehmen und den Finanzsektor werden verbindliche Anforderungen eingeführt, um die Einhaltung der Sorgfaltspflichten, die Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen und Transparenz in den Lieferketten zu gewährleisten.
- Relevante im Gesetz verwendete Begriffe und Konzepte sind klar definiert.
- Die Gesetzgebung wird in allen EU-Ländern mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen strikt umgesetzt.
- Es werden flankierende Maßnahmen eingeführt, um die Ursachen für die Zerstörung und Degradierung von Wäldern und anderen natürlichen Ökosystemen zu bekämpfen und um Produzent:innen, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie Unternehmen bei der Umsetzung der eingeführten Standards zu unterstützen.
Mit diesen Kriterien würde die EU sicherstellen, dass Rohstoffe und Produkte, die auf den EU-Markt gebracht werden, nicht mit der Zerstörung von Wäldern und anderen natürlichen Ökosystemen verbunden sind und als gutes Beispiel für andere Regionen der Welt vorangehen, die ähnliche verbindliche Standards setzen sollten. Darüber hinaus würden Unternehmen von den geschaffenen gleichen Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU profitieren.
Ein ganzheitlicher und inklusiver Ansatz zur Umsetzung der Regulierung
Da die neue Gesetzgebung nur das Thema der Entwaldung und Umwandlung anderer Ökosysteme ansprechen wird, müssen weitere verbindliche Anforderungen sowie flankierende Maßnahmen für eine nachhaltigere Produktion sowie für verantwortungsvolle Lieferketten etabliert werden. Neben der Notwendigkeit einer starken EU-Due-Diligence-Gesetzgebung und der Einführung von Mindestkriterien für eine nachhaltige Produktion sind die Themen kleinbäuerliche Betriebe, indigene Völker und Ernährungssicherheit von besonderer Bedeutung.
Weltweit sind Millionen von Menschen in der Landwirtschaft tätig. Hier müssen Anreize, Instrumente und Schulungen für eine entwaldungs- und umwandlungsfreie Produktion geschaffen werden. Diversifizierung kann eine von vielen Maßnahmen sein, wobei dynamische Agroforstsysteme ein Beispiel sind, wie die Lebensbedingungen verbessert und die Ernährung gesichert werden kann, wenn gleichzeitig Wälder und andere wertvolle Ökosysteme erhalten werden.
Da natürliche Ökosysteme auch Pflanzen, Tiere und Fischen als direkte Nahrungsquelle für lokale Gemeinschaften bereitstellen, wirkt sich deren Entwaldung und Umwandlung direkt negativ auf die Ernährungssicherheit aus. Es ergeben sich darüber hinaus negative Auswirkungen auf regionale Wasser- und Nährstoffkreisläufe. Bodendegradation wird befördert, die landwirtschaftliche Produktivität nimmt ab und die lokale Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wird so gefährdet. Langfristig werden die dadurch verursachten Emissionen die Auswirkungen des Klimawandels und die damit verbundenen negativen Folgen für die Landwirtschaft verstärken.
Der Stopp der globalen Entwaldung und der Zerstörung anderer, natürlicher Ökosysteme ist entscheidend für den Erhalt der Lebensgrundlagen heutiger und künftiger Generationen. Da freiwillige Verpflichtungen nicht die gewünschte Wirkung gezeigt haben, braucht es starke und verbindliche Maßnahmen. Eine neue EU-Gesetzgebung muss Wälder und andere natürliche Ökosysteme schützen und Kleinbäuerinnen und Bauern sowie indigene Gemeinschaften bei der Erreichung einer nachhaltigen Ernährungssicherheit unterstützen.
Koautorinnen: Ilka Petersen (Referentin Landwirtschaft & Landnutzungswandel), Alica Nagel (Referentin Standardsetzung und Implementierung), Kerstin Weber (Referentin Agrarökologie)