Denkweisen ändern, Grenzen überwinden

Barrieren abzubauen, die die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen blockieren, ist unerlässlich für den Aufbau von resilienteren, gerechteren und solidarischeren Agrar- und Ernährungssystemen. In ländlichen Gebieten wird das Potenzial von Landwirt*innen mit Behinderungen durch begrenzte Dienstleistungen, Entwicklungsmöglichkeiten von Fähigkeiten und menschenwürdigen Arbeitsplätzen - in Verbindung mit anhaltender Diskriminierung - erheblich untergraben. Das wirkt sich nicht nur auf ihren Lebensunterhalt, sondern auch auf die Nachhaltigkeit der Wertschöpfungsketten in der Landwirtschaft aus. Nach dem Grundsatz "Nichts über uns, ohne uns" stellt der IFAD bei seiner Programmgestaltung Landwirt*innen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen in den Mittelpunkt und legt dabei seinen Fokus auf drei Schlüsseldimensionen der Befähigung: Handlungsfähigkeit, Zugang und Mitsprache.

© GIZ, Ranak Martin

Von Valentina Franchi

Valentina Franchi ist leitende technische Spezialistin für Gender und soziale Inklusion beim Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) mit Sitz im Kairoer Mehrländerbüro. Seit 2024 ist sie zentrale Ansprechpartnerin des IFAD für die Integration von Menschen mit Behinderungen und ist dafür verantwortlich, integrative Ansätze in die Programme der Organisation zu integrieren.

Mit mehr als einem Jahrzehnt Erfahrung bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat Valentina sowohl in der Zentrale als auch im Regionalbüro für den Nahen Osten und Nordafrika intensiv an der Gleichstellung der Geschlechter in Ernährungssystemen gearbeitet.

Sie hat einen Master-Abschluss in Gender und Sozialpolitik von der London School of Economics und einen Master-Abschluss in internationaler Zusammenarbeit und Entwicklung von der Universität Pavia.

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Von Valentina Del Monti

Valentina Del Monti ist Praktikantin im Team für Gleichstellung und soziale Eingliederung beim IFAD, wo sie die Arbeit des IFAD zur Eingliederung von Behinderten unterstützt. Zuvor war sie Praktikantin im Talent Acquisition Team des IFAD und bei der Präsidentschaft des Ministerrats in Italien, wo sie sich mit Menschenhandel beschäftigte.

Valentina hat einen Master in Global Security Studies: Umwelt, Energie und Konflikte und einen Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaft und internationalen Beziehungen von der Universität Roma Tre. Sie interessiert sich für Gender Empowerment und Frauenrechte im Nahen Osten und schrieb ihre Masterarbeit über Feminismus im Islam und die Situation im Iran und in Afghanistan.

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Eingliederung von Menschen mit Behinderungen als Schlüsselfaktor für die Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme

 
Menschen mit Behinderungen sind eine wichtige Zielgruppe für den Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD). Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation haben 16 Prozent der Weltbevölkerung eine oder mehrere Behinderungen, wobei fast 80 Prozent dieser Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen leben. Der Auftrag des IFAD, in die arme Landbevölkerung zu investieren und die ländliche Wirtschaft zu transformieren, kann nicht erfüllt werden, wenn Menschen mit Behinderungen in ländlichen Gebieten und in kleinbäuerlichen Haushalten zurückgelassen werden. Um nicht nur integrative Agrar- und Ernährungssysteme zu schaffen sondern auch allen die selben Chancen zu bieten, sich zu Innovator*innen und Führungskräften in ihren Gemeinschaften zu entwickeln, muss Gleichberechtigung beim Zugang zu Ressourcen, Dienstleistungen und Möglichkeiten sichergestellt werden.

 
"Wir sind imstande, alles tun zu können, wenn die Barrieren beseitigt werden"

 
In allen Regionen werden Landwirte und Landwirtinnen mit Behinderungen durch eine Kombination von umweltbedingten, systemischen und mentalen Barrieren benachteiligt. Unzureichende Infrastruktur, ein Mangel an zugänglichen Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten sowie der Ausschluss aus ländlichen Organisationen erschweren ihren Zugang zu wirtschaftlichen Möglichkeiten erheblich und erhöhen ihre Anfälligkeit für Armut und Ernährungsunsicherheit.

 

Die Überwindung all dieser Barrieren erfordert einen integrierten Ansatz auf mehreren Ebenen, der die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Interessengruppen voraussetzt. Zwar ist ein besserer Zugang zu physischen Räumen, Technologien und grundlegenden Dienstleistungen wichtig; ein langfristiger und nachhaltiger Wandel ist aber ebenso entscheidend. Dieser kann nur erreicht werden, wenn die Ursachen der Diskriminierung angegangen werden, deren Ursprung oft in Stigmatisierung und Vorurteilen innerhalb von Gemeinschaften und Organisationen zu verorten ist. Der Wechsel vom Charity-Modell hin zu einem sozialen Modell, in dem Menschen mit Behinderungen vollständig am öffentlichen Leben teilnehmen können, ist entscheidend. Wie Mayenda Saudi, ein Teilnehmer eines IFAD-Projekts mit körperlicher Beeinträchtigung aus dem ländlichen Raum Malawis, sagt:

 

"Wir sind imstande, alles tun zu können, wenn die Barrieren beseitigt werden. Wir können andere in unserer Gemeinschaft anführen und inspirieren."

 

Pilotphase von behindertengerechten Ansätzen, um Landwirt*innen mit verschiedenen Arten von Beeinträchtigungen zu stärken

 
In der Erkenntnis, dass nicht Behinderungen, sondern gesellschaftliche Barrieren den Einzelnen behindern, arbeitet der IFAD mit Regierungen, Erzeuger- und Bauernorganisationen, Ausbildungszentren und Unternehmen zusammen, um neue Möglichkeiten entlang der Wertschöpfungsketten im Agrarsektor zu schaffen. Seit der Verabschiedung seiner Strategie zur Eingliederung von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2022 hat der IFAD sieben Projekte entwickelt, die sich vorrangig an Menschen mit Behinderungen richten. Außerdem wurde die Initiative Sparking Disability Inclusive Rural Transformation (SPARK) abgeschlossen, die sich der Erprobung maßgeschneiderter Ansätze widmet, um Landwirte und Landwirtinnen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen anzusprechen und zu stärken. Von 2020 bis 2024 wurden in Zusammenarbeit mit Light for the World, der Internationalen Arbeitsorganisation und Procasur 38.000 Menschen mit Behinderungen, Männer und Frauen aus Indien, Malawi, Mosambik und Burkina Faso, an SPARK beteiligt, um ihren Zugang zu guten landwirtschaftlichen Praktiken, ländlichen Finanzmitteln und Beschäftigungsmöglichkeiten zu verbessern.

 

Drei Schlüsseldimensionen des Wandels: Handlungsfähigkeit, Zugang und Mitsprache
 

Die Arbeit des IFAD im Bereich der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen konzentriert sich auf drei Schlüsseldimensionen der Befähigung: Handlungsfähigkeit, Zugang und Mitsprache. Unter den neuen Ansätzen, die von SPARK eingeführt wurden, ist der Disability Inclusion Facilitator (DIF) hervorzuheben. Dabei handelt es sich um Menschen mit Behinderungen (aus den ländlichen Gemeinden, die an IFAD-Projekten teilnehmen), die zu Vorreiter*innen für Inklusion ausgebildet werden. Dieses Modell ist ein Beispiel für einen integrativen Ansatz zur Förderung dieser drei Schlüsseldimensionen. Die DIFs spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einzutreten, Kapazitäten für andere Menschen mit Behinderungen aufzubauen und den Zugang zu Dienstleistungen und Einkommensmöglichkeiten zu erleichtern, die von IFAD-Projekten und Regierungsprogrammen angeboten werden. Ein DIF zu werden war für viele eine ermutigende Erfahrung, insbesondere für weibliche und junge Menschen mit Behinderungen, die oft auf mehreren Ebenen diskriminiert werden. Am Ende des Projekts hatten 107 zertifizierte DIFs nicht nur finanzielle Unabhängigkeit erlangt, sondern auch ihr Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen gestärkt. Einige von ihnen haben sich sogar Führungspositionen in Bezirksausschüssen gesichert und setzen sich lautstark für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein.

 

Auf Seiten der Innovation hat der AgriLab-Ansatz nach dem Prinzip 'nichts über uns, ohne uns' Dutzende von Landwirt*innen mit Behinderungen in Malawi, Mosambik und Burkina Faso zusammengebracht. Gemeinsam entwickelten sie barrierefreie landwirtschaftliche Technologien und Geräte, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Durch partizipative Co-Design-Prozesse, an denen Landwirt*innen, Organisationen von Menschen mit Behinderungen und Agraringenieure beteiligt waren, konnten im Rahmen der Projekte 14 Prototypen von angepassten Werkzeugen und Geräten (angepasste Schubkarren, handbetriebene Maisschälmaschinen usw.) entwickelt werden. Diese machen Landwirtschaft und Viehzucht für alle zugänglicher, indem lokale Ressourcen und Fachkenntnisse genutzt werden. Die AgriLabs verbesserten nicht nur den Zugang zu Einkommensmöglichkeiten für Landwirt*innen, sondern boten ihnen auch eine Plattform, um ihre Bedürfnisse zu äußern und ihr Potenzial als Innovator*innen in der Landwirtschaft zu präsentieren.

 

Ein anderer, aber ebenso erfolgreicher Ansatz zur Stärkung der Selbständigkeit wurde in Ruanda mit dem Programm Agribusiness Hub (ABH) entwickelt. Er bietet jungen Menschen in ländlichen Gebieten den Zugang zu Lohn- und Selbständigkeitsmöglichkeiten. In weniger als vier Jahren haben 89 junge Menschen mit Behinderungen (insbesondere Hörbehinderungen) eine Beschäftigung gefunden. Dies ist das Ergebnis einer vielschichtigen Strategie zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen, die von dem Programm und dem lokalen Partner, der NGO Kilimo Trust, umgesetzt wurde. Der Ansatz kombinierte gezielte Outreach-Maßnahmen, maßgeschneiderte Schulungsangebote, die Sensibilisierung von Arbeitgeber*Innen und Partnerschaften mit Unternehmen, die bereits Jugendliche mit Behinderungen beschäftigen, und eröffnete so neue Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des Betriebes.

 

Ausweitung der Programme

 

Um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft zu gewährleisten, müssen nicht nur Barrieren beseitigt werden – es ist auch ein Mentalitätswandel erforderlich. Dieser beginnt damit, das Potenzial jede*r Landwirt*in, Unternehmer*in und Arbeiter*in anzuerkennen und zu fördern.

 

Die Erfahrung des IFAD zeigt, dass Landwirt*Innen mit Behinderungen, wenn sie Zugang zu den richtigen Werkzeugen, Möglichkeiten und Unterstützung haben, zu Akteuren des Wandels werden, die zum Wohlergehen ihrer Haushalte und zur Entwicklung ländlicher Gemeinschaften beitragen. Die Ausweitung dieser Ansätze und die Einbeziehung der Belange von Menschen mit Behinderungen in alle Initiativen zur ländlichen Entwicklung sind notwendig, um einen wirklich gerechten und nachhaltigen Wandel der Agrar- und Ernährungssysteme zu erreichen.

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