Klima Krisen
In der Sahelzone ist schon heute eine Entwicklung zu verfolgen, die in Zukunft noch häufiger auftreten wird. Bevölkerungswachstum, fehlende Rechtsstaatlichkeit und schwindende Ressourcen, beschleunigt durch den Klimawandel, führen zu Konflikten, die in der gesamten Sahelzone jährlich Tausende von Toten fordert.
„Nirgendwo auf der Welt wächst die Bevölkerung stärker als im westafrikanischen Sahel. Dass dort gleichzeitig die ärmsten Länder liegen, ist kein Zufall. Denn Armut befördert hohe Kinderzahlen und diese erschweren den Weg aus der Not. Insofern sind die längerfristigen Bevölkerungsprojektionen für den Sahel nicht realistisch. Denn die dort erwartete Verdopplung oder Verdreifachung der Einwohnerzahlen in den kommenden Jahrzehnten wird es nicht geben. So viele Menschen lassen sich unter den bestehenden Wirtschaftsverhältnissen und angesichts des Klimawandels unmöglich versorgen. Viele werden ihre Heimat verlassen oder durch Hunger, Krankheiten und Kriege zugrunde gehen. Nur eine zügige sozioökonomische Entwicklung durch massive Investitionen in Gesundheitsdienste, Bildungssysteme und Arbeitsplätze könnte dieses Desaster verhindern. Denn sobald die Menschen eigene Lebensperspektiven bekommen, sinken die Kinderzahlen rasch und das Bevölkerungswachstum verlangsamt sich.“
– Reiner Klingholz –
Reiner Klingholz ist promovierter Chemiker und hat sich vor allem mit dem verheerenden Einfluss des Homo sapiens auf seine Umwelt beschäftigt. Von 2003 bis 2019 leitete er das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, einen Thinktank zu globalen demografischen Fragen.
Tchika am Tschadsee ist ein Dorf, das während eines andauernden Konfliktes um den Zugang zu Weideland sowie zu den Fischbeständen zwischen zwei miteinander verfeindeten Gruppen derselben ethnischen Gemeinschaft der Buduma als Vergeltungsmaßnahme niedergebrannt wurde. Der Konflikt hat bereits sechs Menschenleben gekostet und die Situation bleibt weiterhin gespannt, da der Kampf um die Seeressourcen über das Überleben der Gruppen entscheidet: Ohne den Zugang zu diesen Ressourcen können die Einheimischen ihre Familien nicht ausreichend versorgen.
Tschad
Am Tschadsee, in Zentralafrika hat der Klimawandel die Umwelt in den letzten Jahren dramatisch verändert. Die Ernten bleiben aus. Große Teile des Sees sind nicht mehr zugänglich. Und weil die Natur die Menschen nicht mehr ernährt, gibt es Streit um die verbleibenden Ressourcen. Hier zeigt sich, wie der Klimawandel zum Treibstoff von Kriegen wird.
Szene in einem ausgetrockneten Bereich des Tschadsees. Die Spannungen zwischen den Wanderhirten und den Landwirten in der Sahelzone dauern seit Jahrhunderten an, haben sich jedoch aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels und der daraus entstandenen Belastung natürlicher Ressourcen wie Boden und Wasser zunehmend verschärft. Den Konflikten um das Land im Gebiet des Tschadbeckens fallen jedes Jahr Zehntausende Menschen zum Opfer.
Mussa Abdoulayi, das Oberhaupt seiner Dorfgemeinde, hält in der Hand Hirse, ein Getreide, das hauptsächlich auf den Inseln des Tschadsees kultiviert wird. Aufgrund der schlecht vorhersagbaren Wetterbedingungen und der viel später als sonst einsetzenden, langen Regenzeit gestaltet sich die Ernte zunehmend schwierig und die bleibende Feuchtigkeit lässt das meiste Getreide verfaulen.
Szene im Dorf Dara Almin, dessen Einwohner:innen vollkommen von der Lebensmittelversorgung des WFP abhängig sind.
Aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der sich infolge des Klimawandels verändernden Wettermuster gestaltet sich die Selbstversorgung für die Menschen, die um den Tschadsee leben, immer schwieriger.
In dem in der Tschadsee-Region befindlichen Flüchtlingslager Dar es Salam treffen immer wieder nigerianische Geflüchtete ein, die ihre Heimat aus Furcht vor Boko Haram verlassen haben. Das Flüchtlingslager in Bol beherbergt ca. 15.000 Menschen, die vor dem Krieg im nordöstlichen Nigeria geflüchtet sind. Das Foto zeigt Jungen, die im Flüchtlingslager in einer provisorischen Madrasa am Islamunterricht teilnehmen.
Die Beherbergung der Geflüchteten sorgt für Spannungen mit den Einheimischen, da die Ressourcen in der Sahelzone, insbesondere um den Tschadsee, knapp sind: 2,5 Millionen Geflüchtete und 10 Millionen Einheimische sind auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen.
Szene an einer kommunalen Wasserstation mit einer manuellen Pumpe in Baga Sola. Handbetriebene Pumpen sind dort die einzigen Pumpen, die zuverlässig funktionieren. Da die am Seeufer lebende Bevölkerung kontinuierlich wächst, sinkt jedoch der Grundwasserspiegel.
Nigeria
Die Folgen dieser klimatischen Veränderungen betreffen vor allem die Bevölkerungsgruppen, deren Lebensgrundlage Landwirtschaft und Viehzucht ist, wie in Nigeria. Hier treiben die Fulani-Nomaden ihre Herden hunderte Kilometer zu den Wasserstellen im Süden des Landes. Aber seit immer mehr Menschen um Wasser und das durch die Erderwärmung immer knapper werdende Weideland konkurrieren, haben sich die Konflikte zwischen den (christlichen) Bauern und den (muslimischen) Nomaden verschärft.
Szene mit einer Gruppe von Fulani-Hirten, die den Sahel im Bundesstaat Adamawa überqueren. Das Gebiet zählt zu den Hotspots des blutigen Konflikts zwischen den Fulani und den überwiegend christlichen Landwirten der Region.
Foto einer einfachen, lokal gefertigten Bockbüchsflinte. Sowohl die Fulani als auch die Landwirte verwenden derartige Gewehre für Angriffe sowie zur Verteidigung gegen die jeweils andere Gruppe.
Portrait eines Mannes in einem zerstörten Haus im christlichen Dorf Dasso im Verwaltungsgebiet Numan. Das Dorf wurde von den Fulani-Hirten im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen zweimal angegriffen und zerstört, nachdem die Landwirte ihre Rinder getötet hatten. Die Rinder sollen die Getreidefelder der Landwirte vernichtet haben.
Szene mit einer christlichen Bürgerwehr – einer Gruppe lokaler Jäger aus dem Dorf Bare, die sich zusammengeschlossen haben, um die Einwohner:innen von Bare vor den Angriffen der benachbarten Fulani-Gemeinschaft zu beschützen. Die mit vergifteten Pfeilen und lokal gefertigten Schrotflinten bewaffneten Männer patrouillieren um das Dorf, insbesondere während der Morgen- und Abenddämmerung, und halten Ausschau nach möglichen Angreifern.
Szene am Bett des Flusses Gongola in Bare, der das Dorf von den Fulani-Siedlungen am anderen Ufer trennt. Aufgrund der Belastung der lokalen Ressourcen infolge des Bevölkerungswachstums und der unsicheren Situation haben die Einheimischen aus Bare begonnen, auch das Land auf der anderen Seite des Flusses zu bearbeiten, was die Spannungen in der Region weiter verstärkt hat.
Portrait von Pfarrer Daniel Moses im zerstörten christlichen Dorf Dasso. Pfarrer Moses lebt weiterhin auf dem Gelände der Dorfkirche und wird von sechs nigerianischen Soldaten beschützt, die das Haus Tag und Nacht bewachen.
Ein kleiner Fulani-Junge im Bundesstaat Adamawa sitzt nachts am Lagerfeuer neben einem Kalb. Das Feuer wurde angezündet, um die Rinder von Parasiten zu befreien, die sie tagsüber im Busch befallen haben.
Der Friedhof von Dasso liegt nur einen Kilometer vom Hauptdorf Bare entfernt, in das alle Einheimischen von Dasso nach dem Angriff geflohen sind. Aus Furcht vor weiteren Angriffen der Fulani ist der Friedhof seit einem Monat nicht mehr für Begräbnisse genutzt worden.
Über den Fotografen
Andy Spyra (* 1984 in Hagen) ist ein deutscher Fotograf und Fotojournalist. Bekannt wurde Spyra durch seine meist in Schwarz-Weiß gehaltenen Fotografien aus Krisenregionen. Im Frühjahr 2020 bereiste er als einer der letzten Reporter vor Ausbruch der Corona-Pandemie die Sahelzone.
Die Region ist seit Jahren heftig umkämpft und von Dürren, Hungersnöten, Armut und Gewalt geprägt. Mit seinen Fotos dokumentiert er die dramatischen Auswirkungen der globalen Erwärmung in der Region. Seine Arbeit macht deutlich, wie der Klimawandel zum Brandbeschleuniger für Terror, ethnische Konflikte und Verteilungskämpfe um Wasser und Land wird, wie Gewalt und Hunger Millionen von Menschen in die Flucht treiben.
Seine Fotos erscheinen unter anderem im TIME Magazine, in GEO, im Stern, in der FAZ, im Spiegel, der Zeit und The New Yorker.