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COVID-19 wird in den meisten afrikanischen Ländern mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gesundheits- und Lebensmittelkrise auslösen. Um diese zu bewältigen, ist es nach Ansicht unseres Autors wichtiger denn je, die Politik konsequent an den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) auszurichten.
Das Leben hat sich seit dem ersten festgestellten Covid-19-Fall im Dezember 2019 im chinesischen Wuhan tiefgreifend verändert. Das gilt für uns alle, rund um den Globus, aber die gravierendsten Auswirkungen wird die Pandemie auf Länder und Menschen haben, die ohnehin schon mit Armut, Hunger und schlechter Regierungsführung konfrontiert sind.
In dicht besiedelten Vierteln sind Abstandsregeln kaum umsetzbar, und schon in normalen Zeiten haben Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, von Desinfektionsmittel ganz zu schweigen.Gesundheitssysteme sind fragil, es fehlen Schutzkleidung, Beatmungsgeräte, Fachpersonal. Zudem trifft das Virus in Afrika auf viele Menschen, die an Vorerkrankungen wie HIV oder Malaria leiden und deren Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung hoch ist.
Den Blick allein auf den Gesundheitsbereich zu richten, greift indes deutlich zu kurz. Covid-19 wird in den meisten afrikanischen Ländern nicht nur eine reine – an sich schon dramatische – Gesundheitskrise, sondern eine kombinierten Gesundheits- und Ernährungskrise auslösen. In einigen afrikanischen Städten sind Preise für Obst und Gemüse bereits deutlich gestiegen, wie man auf der Website der FAO im „Daily Food Prices Monitor“ nachvollziehen kann (https://datalab.review.fao.org/dailyprices.html).
Solche Preisanstiege treffen die ärmsten Bevölkerungsschichten besonders hart. Sie mussten vor der Pandemie den größten Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Es steht zu befürchten, dass es aufgrund der eingeschränkten Verfügbarkeit von gesunden und nährstoffreichen Lebensmitteln wie Obst und Gemüse einerseits und mangelnder Kaufkraft andererseits zu einer deutlichen Zunahme von Unter- und Fehlernährung kommen wird. Kinder werden leider stark betroffen sein.
Es ist möglich, dass die Ernährungskrise die afrikanischen Länder noch vor oder gleichzeitig mit der Gesundheitskatastrophe treffen wird. Jedenfalls aber verstärken die beiden Seiten der Krise sich gegenseitig: Die Gegenmaßnahmen im gesundheitlichen Bereich – wie Ausgangssperren, Grenzschließungen – verschärfen die Ernährungs- und Wirtschaftskrise; wer fehl- oder mangelernährt ist, der ist auch anfälliger für einen schweren Covid-19-Verlauf.
Von unseren Partnern rund um den Globus erreichen uns Berichte über die Auswirkungen der Pandemie auf die landwirtschaftliche Produktion und die Ernährungssicherheit. Die massiven Einschränkungen der Bewegungsfreiheit führen in vielen Ländern schon jetzt zu einem Mangel an Arbeitskräften und zu Logistik- und Transportproblemen. Landarbeiter fehlen, das wird zu massiven Ernteverlusten führen, gerade bei arbeitsintensiven Produkten wie Obst und Gemüse. Im Mai beginnt sonst vielerorts die Anbausaison, sie ist akut gefährdet – und ohne Aussaat keine Ernte. Gleichzeitig führen die Ausgangsbeschränkungen zu erheblichen Einkommensverlusten gerade bei Landarbeitern, ganze Familien müssen um ihre Existenz kämpfen.
In Sambia sorgen Grenzschließungen zu den
Nachbarländern dafür, dass das Land faktisch von der
Außenwelt abgeschnitten ist.
Infolge der Pandemie werden Lieferketten für Betriebsmittel wie Saatgut, Dünger und Viehfutter aufgrund von Grenzschließungen und Einschränkungen der Freizügig innerhalb einzelner Länder unterbrochen. Kleinbäuerlichen Betrieben – die von funktionierenden Lieferketten abhängig sind, um ihre Existenz zu sichern – droht der Rückfall in die Subsistenzwirtschaft mit drastischen Einkommensverlusten. Die in den letzten Jahren gewachsene Wertschöpfung durch Verarbeitung droht wieder zu verschwinden.
So können in Kenia aufgrund des staatlich verordneten Lockdowns aktuell nur die wichtigsten Märkte aufrechterhalten werden. Lieferketten in und aus abgelegenen Regionen sind unterbrochen. Milch findet kaum noch ihren Weg zu den Sammelstellen. Die meisten Kleinstbetriebe beginnen wieder damit, ihre Milch selbst zu konsumieren oder in kleinen Mengen zu verkaufen, z. B. an Nachbarn. Dies ist aber ohne Lagerungs-, Transport- und Kühleinrichtungen nur in sehr geringem Umfang möglich. Der Großteil der Milch verdirbt. Damit entfällt die zentrale Einnahmequelle. Gleichzeitig fehlt der Nachschub auch für die städtische Bevölkerung.
In Sambia sorgen Grenzschließungen zu den Nachbarländern dafür, dass das Land faktisch von der Außenwelt abgeschnitten ist. In Kombination mit Reiserestriktionen im Land bedeutet das eine massive Einschränkung von Warenflüssen. Der Zugang zu Betriebsmitteln für die Produktion, genauso aber auch zu importierten Lebensmitteln wird schwierig werden. Schon jetzt sind Grundnahrungsmittel wie Reis und Kartoffeln innerhalb eines Monats deutlich teurer geworden. Sambische Haushalte reagieren, indem sie den Konsum nährstoffreicher Lebensmittel zurückfahren. Das führt zu Mangelernährung und gefährdet besonders die Ernährung von Kindern.
Auch der internationale Agrarhandel und die globalen Agrarlieferketten sind stark betroffen. Zwar sind die weltweiten Speicher gut gefüllt und eine ordentliche Ernte prognostiziert – Versorgungsengpässe müsste es eigentlich nicht geben. Aber die Frage der Verteilung stellt sich: So kam es in den vergangenen Wochen schon zur Störung von Transporten tropischer Früchte aus Südostasien durch Rückstau in asiatischen Häfen, da Kühlcontainer nicht rechtzeitig entladen werden konnten.
Wie in vergangenen Krisenzeiten ist zu beobachten, dass erste Länder zu protektionistischen Maßnahmen greifen. So verhängte die kasachische Regierung Ende März ein Exportverbot für ausgewählte Nahrungsmittel, darunter Weizenmehl, Sonnenblumenöl, Zucker, Kartoffeln und bestimmte Sorten von Gemüse. Die vietnamesische Regierung – sonst wichtiger Reisexporteur nach Afrika – ging zunächst keine neuen Verträge für den Export von Reis ein. Sie wollte zunächst die lokalen Lager mit Reis füllen, um die Versorgung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen.
Wir wissen aus Erfahrung, dass solche handelsbeschränkende Maßnahmen negative Effekte für alle Beteiligten haben. Sie gefährden über Nacht langfristig mühsam aufgebaute Lieferketten, deren Akteure aufeinander angewiesen sind, und damit Marktgleichgewicht. Umso wichtiger ist es, den globalen Lebensmittelhandel aufrecht zu erhalten und aktuell eingeführte Exportbeschränkungen zu beseitigen. So kann eine Lebensmittelknappheit an bestimmten Orten vermieden und eine Stabilisierung der Preise auf dem Weltmarkt erreicht werden.
Auch und gerade im Handelsbereich gilt also: Diese Krise werden wir nur durch globale Zusammenarbeit und nicht durch Abschottung überwinden können. Die Pandemie zeigt, wie groß die Verknüpfung miteinander ist. Kein Land wird den Kampf gegen das Virus alleine gewinnen. Wir sind aufeinander angewiesen und müssen unsere Maßnahmen eng miteinander koordinieren. Bundesminister Dr. Müller hat deshalb mit Vehemenz die Bildung eines „Weltkrisenstab“ unter Leitung von UN-Generalsekretär Antonio Guterres gefordert. In diesem Rahmen müssen wir unsere Instrumente bündeln und stärken – und dabei die Gesundheits- und Ernährungskrise zusammen denken, von multilateralen Strukturen und Nothilfe (WHO, WFP) über die internationale Finanzarchitektur und Schuldenerlasse (IWF, Weltbank) bis hin zur Aufrechterhaltung und Fortentwicklung der Lieferketten und Handelsstrukturen (WTO, EU).
Wir werden in den Entwicklungsländern kurzfristig
Unterstützung leisten, gerade weil wir auch langfristig
Partner sind. Das gilt besonders für den Agrar- und
Ernährungsbereich.
Wir werden zur Eindämmung und Abfederung der Folgen der Pandemie in den Entwicklungsländern kurzfristig Unterstützung leisten, gerade weil wir auch langfristig Partner sind. Das gilt besonders für den Agrar- und Ernährungsbereich. Dabei sind die Netzwerke der vom BMZ ins Leben gerufenen Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ von großem Wert. Die Grünen Innovationszentren, die in 14 Ländern Afrikas und in Indien tätig sind und die inzwischen mit einem Netzwerk von zehntausenden Kleinbauern, kleinen Unternehmern, Bauernorganisationen und Verbänden tief in den ländlichen Raum hineinreichen, nutzen wir als Basis für eine länderspezifische, auf den konkreten Bedarf bezogenen Unterstützung.
So stellen wir in Äthiopien und in Benin unseren Partnern kurzfristig Saatgut und kleinere Maschinen bereit, um die Aussaat nicht zu gefährden, und übernehmen auch erhöhte Lieferkosten. In Burkina Faso helfen wir über ein Radioprogramm, die Menschen für Covid-19 zu sensibilisieren. Dort wie auch in Malawi und Ghana finanzieren wir Hygieneschutzartikel für unsere Partner in der Produktion. In Indien beschaffen wir Viehfutter. In Tunesien kümmern wir uns um Hygienemaßnahmen im Milchmarkt und haben 1500 Erntehelfer mit Schutzkleidung ausgestattet.
All diese Beispiele sind nicht einfach nur „generalstabsmäßig“ geplant, sondern eine Reaktion auf die sehr individuellen Bedarfe unserer Partner in den einzelnen Ländern. Die direkte Unterstützung ist selbstverständlich, wenn man über Jahre eng mit Menschen und Institutionen zusammenarbeitet. Sie hilft gleichzeitig auch dabei, europäische Solidarität mit Afrika nicht nur Worthülse sein zu lassen: Ein Freund in der Not ist ein wahrer Freund.
Diese Pandemie stellt die Weltgemeinschaft vor enorme Herausforderungen. Sie verursacht weltweit ungeheures Leid und große Schäden. Ich bin sicher, dass es an vielen Orten auch weiter auf schnelle, unbürokratische, vertrauensvolle Hilfe ankommt. Deshalb schichten wir im Haushalt um und mobilisieren Gelder. Für eine Bilanz ist es daher viel zu früh, sogar für ein Zwischenfazit. Wichtig ist mir aber: Die konsequente Ausrichtung unserer Politik an den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) ist relevanter denn je.
Diese globalen Ziele finden ihren Ausdruck an vielen Stellen, vom Pariser Klimaabkommen über den Europäischen „Green Deal“ bis hin zu unserem Einsatz für mehr soziale und ökologische Nachhaltigkeit in globalen Lieferketten. Wir dürfen diese politischen Ziele jetzt nicht in Frage stellen, wie das von interessierter Seite bereits geschieht, sondern müssen umso klarer an ihnen weiter arbeiten.
Dann bietet die Krise bei aller Dramatik auch Chancen, die Welt in einer positiven Weise zu verändern: Nicht nur wird die Digitalisierung ungemein beschleunigt. Dazu gehört, beizeiten zu diskutieren: Wie können wir die Landwirtschaft resilienter gegenüber zukünftigen Krisen machen? Wie können wir Wertschöpfung lokal gestalten, zum Beispiel durch mehr Verarbeitung vor Ort? Welche Rolle kann Agrarökologie spielen? Wie können wir die Agrarforschung besser ausrichten, zum Beispiel um Zoonosen besser zu verstehen?
Es ist heute schwer vorstellbar, denn wir stehen noch am Anfang der Bewältigung dieser Jahrhundertkrise. Aber dennoch: Vielleicht kann es ein Silberstreif am Horizont sein, dass wir aus dieser Krise in einer globalisierten Welt gestärkter und geeinter hervorgehen. Das muss unser Ziel bleiben.
Dieser Beitrag erscheint in Zusammenarbeit mit unserem Medienpartner Rural21.
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